Buch des Monats

Der Psychologe Markus Theunert bringt uns in «Jungs, wir schaffen das» (Kohlhammer GmbH, Stuttgart 2023) in beeindruckender Verdichtung und sprachlicher Eloquenz näher, wie Mannsein jenseits der patriarchalen Strukturen ginge, und ich habe dieses Buch auch als Frau und Feministin mit Hochgenuss gelesen. Nicht etwa, weil ich finde, die Männer sollten sich einfach endlich, endlich ändern, damit die Welt ein besserer Ort wird, sondern es geht auch uns Frauen mit unseren eingefleischten Mustern ziemlich viel an, wenn wir gewohnheitsmässig den privilegierten weissen cis-Mann als Referenz nehmen für das, was unter der viel beschworenen Gleichstellung anzustreben ist. Nichts da, nada, der Leiter von maenner.ch rollt die historischen Gründe der bisherigen Geschlechterrollen auf, und wir erkennen dabei bald, wie wir alle in diesen verkrusteten schädlichen Strukturen und verinnerlichten Bildern gefangen sind. Theunert gewährt uns dabei berührende Einblicke auch in seine persönliche Geschichte, und er gibt viele Übungen an die Hand, wie wir uns selber besser wahrnehmen können und uns und unserem wahren Wesen dabei näherkommen, worum es in der Tiefe eben geht. Dieses wertvolle Buch ist für mich nicht nur ein Kompass, sondern ein Meilenstein, wie wir ein neues Bewusstsein von Menschsein entwickeln können, und ich empfehle es daher vorbehaltlos allen zur Aufklärung, und das durchaus auch im Sinne von «gönn dir das als Mensch»! (Rez: Rébecca Kunz)

Als «Dschungelkind» bezauberte sie Millionen in aller Welt; Sabine Kuegler erzählt in dem Bestseller und im gleichnamigen Film die Geschichte ihrer Kindheit, die sie als Tochter deutscher Missionare bei einem bis dahin unbekannten Stamm auf Westpapua verbrachte. Mit 17 kam sie in ein Internat in der Schweiz, in Europa wurde sie Mutter von vier Kindern, in weiteren Werken machte sie sich stark für den Schutz der Indigenen und deren Lebensraum. Mit dem etwas sperrigen Titel ihres neuen Buches «Ich schwimme nicht mehr da, wo die Krokodile sind» (Westend, Frankfurt/M 2023) bezieht sie sich zwar auf eine Erfahrung aus der Kindheit, doch im Mittelpunkt steht das Wohl und Weh der Autorin von heute, die vor rund zehn Jahren schwer erkrankte und im Westen weder Diagnose noch Kur für ein parasitäres Leiden finden konnte, welches ihr zunehmend das Leben raubte. Die Suche nach Heilung führte sie zurück zu indigenen Stämmen in Indonesien und Ozeanien, wo sie geschlagene fünf Jahre verbrachte, bis sich auf den letzten Drücker und unter schwer nachvollziehbaren Umständen tatsächlich eine Medizin für sie finden liess. Sinnigerweise verhalf ihr dieser verschlungene Pfad nicht bloss zu körperlicher Gesundheit, sondern auch zu einer entscheidenden Klärung der eigenen Identität zwischen Stammeszugehörigkeit und Persönlichkeit. (Rez: MF)

Henry – der Name oder die Bezeichnung kann frei gewählt werden – ist unsere Körperintelligenz = innere Stimme = Verbindung zu den universellen Gesetzmässigkeiten, mit der wir ganz konkret in Kontakt treten und in Zeiten bewegter Transformation leichter weiterkommen können. Tanis Helliwell hatte schon als Kind Kontakt mit Elementarwesen, Engeln und Meisterlehrern, und sie gibt in «Good Morning Henry» (Futurum, Basel 2022) einen Einblick in über dreissig Jahre Erkenntnis und Arbeit als Psychotherapeutin und international tätige Kursleiterin sowie Beraterin für gesunde Organisationsstrukturen. Sie ordnet Begriffe sehr hilfreich und klärend ein; wir sind aufgerufen, mit unserer Körperintelligenz zu sprechen, die Botschaften des Universums aufmerksam umzusetzen und unsere Wünsche mitzuteilen; geschieht dies in gegenseitigem Respekt und einer dankbaren Grundhaltung, können wir auf gute Lösungen für unsere Lebensbaustellen vertrauen. Dabei geht es nicht nur um unsere persönliche Entwicklung, es geht auch darum, unserer grossen Aufgabe zum Wohle aller zu folgen und damit zu einer zukünftigen, heilsameren Welt beizutragen. Für mich liegt mit diesem Buch eine reiche, vorbildhafte Zwiesprache mit der inneren Stimme vor, Exkurse zum Bewusstsein von Tieren und Pflanzen unterstützen den ureigenen Weg, den jede_r von uns finden kann. (Rez: Nele Pintelon)

Boris Cyrulnik ist einer der weltweit führenden Experten der Resilienzforschung, und der französische Neuropsychiater weiss aus der eigenen Kindheit als Überlebender des Holocaust, was diese Qualität für die Entwicklung des Menschen bedeutet. In seinem Buch «Die mit den Wölfen heulen» (Droemer, München 2023) erzählt er noch einmal, wie es ihm als jüdischem Kind im besetzten Frankreich gelang, sich der Deportation zu entziehen. Den Fokus seines Rückblicks legt er jedoch auf jene Menschen, die ihn bei der Flucht unterstützten, darunter ein Soldat der deutschen Wehrmacht, der sich zum verängstigten Jungen setzte, um ihm Bilder des eigenen Sohnes im gleichen Alter zu zeigen. Die Szene passt zum neuen Buch, in dem Cyrulnik der Frage nachgeht, warum sich Menschen so leicht von Ideologien verführen und verhetzen lassen. Die einen «essen Wind» und lassen sich davon aufbauschen, andere bücken sich, bearbeiten den Boden und entdecken «den Reichtum des Banalen» – eine geniale Unterscheidung! (Rez: MF)

Diederik Wolsak blickt in seinem auf Deutsch übersetzten Buch «Choose Again» (www.choose-again-switzerland.com) auf eine traumatische Kindheit zurück, die er zeitweise mit seiner Mutter und seinem Bruder in einem japanischen Lager für Kriegsgefangene in Indonesien verbrachte. Aus dieser schmerzlichen Erfahrung hat der niederländischstämmige Kanadier in der Mitte seines Lebens die richtigen Schlüsse gezogen, und daraus entstand seine Selbsthilfemethode. Wolsak zeigt auf, wie man sich in einem Prozess von sechs Schritten aus dem Schlamassel befreit, in das man sich durch das Festhalten an Glaubenssätzen manövriert hat. Angelehnt an Grundsätze von «Ein Kurs in Wundern» und an die besten Einsichten des indischen Vedanta tut sich ein Weg auf zu Freude und Glück. Klingt vielleicht vollmundig, doch ein Versuch damit lohnt sich bestimmt. (Rezension: MF)

Manche Bücher sind wie Feuerwerk, «Utopie und Wirklichkeit» (Verlag Mainz, Aachen 2022) von Thomas Prescher, Elmar Nass, Arndt Büssing ist ein stiller, aber umso kräftiger leuchtender Blitz mitten in unsere Köpfe und die darin gemütlich eingerichtete Verwirrung. Möchtest du die Landschaft genauer kennenlernen, in der sich Religion, Esoterik und Spiritualität verwischen und sich munter mit Wellness und Marketingstrategien mischen, dann bist du hier richtig. Die Autoren erwarten über weite Strecken einen akademisch gebildeten Leser, hier werden Sozialethik, Sozialpsychologie, Pädagogik, Psychologie, Medizin und die systemische Perspektive eingebracht; Begrifflichkeiten werden wissenschaftlich geklärt und an den ihnen gemässen Platz gerückt. Wer sich mit Esoterik und Spiritualität gerne kritisch auseinandersetzen möchte, wird durch die Lektüre viel Erkenntnis gewinnen und auf seinem persönlichen spirituellen Weg gezielter unterwegs sein. Es wird grundlegend aufgeräumt mit dem Mode- und Wellnesstrend «Spiritualität», und das kann auch weh tun; mir hat der Vergleich der inflationär aufgestellten Buddhafiguren in Shops, Hotels, Wellnessoasen mit dem traditionellen Gartenzwerg ganz prima gefallen. (Rezension von Nele Pintelon)

 

4000 Wochen (Piper Verlag, München 2022), das ist die durchschnittliche Lebensdauer eines heutigen Menschen. Klingt nach viel, und im Einzelfall gibt es auch noch einiges oben drauf. Allerdings hilft das nicht über die Tatsache hinweg, dass unser Leben irgendwann zu Ende geht und dass wir über diese Kalamität Bescheid wissen. Der britische Journalist Oliver Burkeman beschäftigt sich eingehend mit der Frage, was für Folgen das nach sich zieht. Die Tatsache, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist und daher kostbar, führt nicht etwa dazu, dass wir unsere Tage mit Bedacht verbringen und Stunde für Stunde bewusst geniessen. Ganz im Gegenteil. Die meiste Zeit hecheln wir irgendwelchen Zielen hinterher und arbeiten Listen ab, mit denen wir nie an ein Ende kommen. Und die sogenannt freie Zeit verbringen wir damit, zu trödeln und uns auf Teufel komm raus abzulenken. Wovon denn nur? Für Burkeman ist die Sache klar: Wir wollen der Tatsache unserer Endlichkeit nicht ins Auge blicken. Lieber machen wir uns vor, für dieses und jenes, das wir uns auch noch vorgenommen haben, sei später noch Zeit. Als liesse sich das Unvermeidliche hinauszögern, solange wir eine gut gefüllte To-do-Liste mit uns herumtragen. Apropos Liste: Zum Abschluss seines Buches präsentiert der Autor Tipps für den Umgang mit der eigenen Endlichkeit, die es in sich haben. Nummer 10: «Wenn es darum geht, die 4000 Wochen gut zu nutzen, ist die Fähigkeit zum Nichtstun unverzichtbar.» (Rez: MF)

Die komplexe Geschichte des Archetypus Hexe beginnt bei uralten Göttinnenmythen, Legenden, volkstümlichen Überlieferungen und führt bis zu Werken der modernen Kunst und zu zeitgenössischen AktivistInnen – mal ist die Hexe eine Nymphe, mal alte Frau, Mutter, Verführerin oder Zerstörerin. «Hexenkunst» (Taschen, Köln 2022), herausgegeben von Jessica Hundley und Pam Grossmann ist ein einzigartiges, hochwertiges Bild-Text-Panorama, das die komplexen Symbole, magischen Traditionen und deren visionären und mystischen sowie obskuren Ausdruck entlang der Kunstgeschichte erkundet. Faszinierende Hexenspuren finden wir in Gemälden, aber auch in Märchen, Dramen, Theaterstücken und Filmen. Der Weg von der einstmals göttlichen Symbolfigur zur Verfolgten und mutig Widerstand Leistenden wird durch zahlreiche Essays ergänzt. Ich halte ein opulentes, aufwändig gestaltetes Zauberbuch in der Hand, ein Volltreffer für alle magisch lebenden Menschen. Selbst für langjährige Hexen und Zauberinnen gibt es hier gewiss noch einiges zu entdecken. (Rezension von Nele Pintelon)

«Solange wir uns noch in den Überlebensreaktionen Kampf, Flucht, Erstarren und Unterwerfung befinden und diese zu unseren Alltagsmustern geworden sind, wiederholt sich Trauma Tag für Tag, und das geht zulasten der Verbundenheit im Innen und im Aussen», schreibt die deutsche Traumatherapeutin Verena König in ihrem sehr empfehlenswerten Buch «Bin ich traumatisiert?» (Gräfe & Unzer, München 2021). Darin zeigt sie nicht nur differenziert die Facetten von Schock-, Entwicklungs- und Bindungstraumata auf, sondern auch, wie Integration und Befreiung daraus aussehen kann. Wenngleich die Autorin Spiritualität als grosse Ressource ansieht, kann diese doch auch eine Falle sein, und so räumt sie wohltuend auf mit schädlichen Inputs wie «Deine Seele hat sich das ausgesucht», «Du bist Schöpfer deiner Realität» oder «Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst». Sehr hilfreich sind auch ihre Überlegungen zum Thema Beziehungen und Trauma, insbesondere das Spannungsfeld zwischen emotionaler Abhängigkeit und Bindungslosigkeit. Ich wünschte mir, dass jeder Erwachsene, egal ob therapeutisch arbeitend oder nicht, dieses Buch liest, denn es ist nicht zuletzt auch dem Weltfrieden dienlich. Und es hilft, die Innenwelt mit ihren Ressourcen, aber auch die zu heilenden verletzten und verletzenden Anteile von sich selbst und andern tiefgehend zu verstehen. (Rezensiert von Rébecca Kunz)

Lieber Rüdiger Sünner, danke, danke und nochmals danke für dieses kostbare Buch, das in solcher Bescheidenheit, Gründlichkeit und Schönheit die Zartheit spiritueller Momente zu beschreiben vermag und diese so gekonnt verortet in Zeit und Raum! Dieser freie Autor, Filmemacher und Musiker beschäftigte sich jahrzehntelang mit Religion, Mythologie, Spiritualität und Mystik sowie mit Vertreter_innen einer aufgeklärten Spiritualität. «Der Geschmack der Unendlichkeit (Europa Verlag, München 2022) ist ein Meisterstück, in dem der Autor sich auf seine selbst in Fülle erfahrene, fürs Leben taugliche Essenz von Spiritualität besinnt; wobei der Prüfstein darin liegt, ob diese Lehren auch im Umgang mit Schmerz, Krankheit, Tod bestehen als Lebenshilfe in schwierigen Zeiten anstelle von kitschigen Leitsätzen und schöngeistigen Rezepten. Entsprechend wartet der Autor auch nicht mit Methoden oder grossen Worten auf, es sind die feinen Zwischentöne, die Stille, das Lauschen, das «andere Schauen» mit liebevollem Blick auf alles Lebendige, das auf subtile Weise den Geist öffnet und verändert. Ein Plädoyer für Einfachheit, Demut, Empathie und Stille – einfach nur wunderbar! (Rez. von Eva Rosenfelder)