Heft Nr. 142 / Winter 2022

Familienbande

Editorial von Martin Frischknecht: Familie Frischknecht lebte in den sechziger und siebziger Jahren am Rande der grossen Stadt. Zu sechst in einer Viereinhalbzimmerwohnung, die beiden Eltern, ein Mädchen, drei Jungs. Letztere steckten für eine Weile zu dritt in einem schmalen Zimmer mit einem Kajüten- und einem Klapp-bett. Das Bett liess sich tagsüber in einen Tisch verwandeln, an dem wir Kinder die Hausaufgaben erledigten. Als der grösste der Buben begann, sich die Kleinen mit Schlägen vom Leib zu halten, räumten die Erwachsenen das Elternschlafzimmer und campierten nachts im Wohnzimmer.

Wenn ich auf diese prägenden Jahre meines Lebens zurückblicke, erinnere ich mich nicht etwa an Beschränkung und Enge, sondern an Nähe und Wärme. Und mir wird zunehmend bewusst, wie viel das eine mit dem anderen zu tun hat. «Papi, packä!», forderte unser Sohn jeweils, bevor sich Vater und Sohn mit Lust und Verve in eine Knuddel-Rammel-Orgie stürzten. Seitdem er ein Mann ist, dür-fen wir ihm physisch kaum mehr nahe kommen. Wie sehr wir uns noch immer verbunden sind, zeigt sich gerade jetzt, da wir ihn unterstützen beim Auszug in seine erste eigene Wohnung.

Mit den Beiträgen in dieser Ausgabe von SPUREN pendeln wir zwischen den Polen Wärme und Dis-tanz. Daniele Ganser (34) und Jeremy Narby (24) spannen den Bogen der Familie weit und eröffnen neue Perspektiven auf Verwandtschaft. Eva Rosenfelder blickt eine Generation weiter und erzählt von den Freuden einer Grossmutter (36). Marc Zollinger hat seine Familie hinter sich gelassen, um sich fernab geistigen Zielen zu verschreiben (48). Selber plädiere ich dafür, überkommene Rollen abzulegen und sich jenem Kind zuzuwenden, das im Trubel einer Familie leicht vergessen geht (14).

 

Inhalte der Ausgabe

Die Wärme der Verstrickung

Die eine Familie zurückgelassen, zwei neue Familien gefunden: Warum sich der lieben Verwandtschaft nicht aus dem Weg gehen lässt. Auch nicht auf der Suche nach sich selbst.